Ein Zuhause 4000km weit weg von Zuhause. Ein Reisebericht.

Als mir Tim das erste Mal von einem Dorf im Ural namens „Leipzig“ erzählte, wurde aus meiner kurz andauernden Verwunderung, schnell Begeisterung.
Und mir war klar: Da muss ich hin! Ich kramte also meinen Koffer raus und packte als erstes Winterjacke, Stiefel und Wollpullovern ein. Klar! In Russland ist es eben immer eisigkalt das weiß man doch. Der Blick in meine Wetter App bewies mir das Gegenteil +25 Grad stand da.

Na gut, Winterjacke also wieder raus. Trotz der nun fehlenden Winterkleidung im Gepäck ließ mein Koffer kein Platz für Zweifel. Stattdessen dabei: Eine riesen Packung Vorfreude, unbändige Neugier und eine kleine Prise Angst vor der Reaktion meines Magens auf den Wodka. Denn alles was ich bis dahin über die Russen wusste war: Russen trinken Wodka wie Wasser! Und das war, im Gegensatz zu der Kälte im Sommer, kein Irrglaube.

Erster Stopp sollte also Moskau sein. Okay, was weiß ich über Moskau…

  1. Der Kreml und der Rote Platz… schon mal irgendwo gehört.
  2. Die Zwiebeltürme waren mir auch ein Begriff.
  3. Von Berlin nach Moskau fliegt man knapp 3 Stunden
    (Gut, aber das wusste ich auch erst nach der Landung)

Also zusammengefasst: Ich wusste gar nichts!

Was mich dann in Moskau wirklich erwartete, hätte ich niemals gedacht. Als geborene Berlinerin war ich Dreck und Gestank in der Großstadt gewohnt.
Doch Moskau war anders! Egal wo ich hinschaute: Alles strahlte und leuchtete in den prächtigsten Farben. Die Straßen so sauber, dass man hätte vom Boden essen können.

Apropos Essen: Der erste Restaurantbesuch gestaltete sich sehr interessant.
Tim und ich sprechen beide so gut wie kein Russisch. Wir merkten schnell mit den Zwei Worten, die wir können („Привет, Настровье“), kommen wir nicht sehr weit.
Also ließen wir uns einfach vom netten Kellner überraschen. Das Essen war hervorragend und nach dem dritten Wein und dem vierten Wodka reichte unser „Настровье“ dann doch.

Nächster Stopp Tscheljabinsk! Was? Noch nie gehört!
Als mir Heiko und Tim vor Ankunft erzählten, dass Tscheljabinsk eine Großstadt mit
1,15 Millionen Menschen ist, wurde mir nochmal mehr klar, wie wenig ich über Russland weiß. Noch nie zuvor hatte ich von dieser Stadt gehört und jetzt würde ich so gerne dorthin zurück. Würde so gerne in der lauwarmen Sommerluft am Ufer langtingeln, den Musikern zuhören und mich lachend durch die tanzenden Menschenmassen drängeln, um mich dann in einem netten Restaurant am Wasser niederzulassen und mit einem Glas Rotwein auf das Leben anzustoßen. Tscheljabinsk, du bist einfach wunderbar und dein Flair erinnert mich ein klein wenig an Berlin. Ein kleines bisschen Heimatgefühl und das 4000km weit weg von Zuhause. Von dir werde ich noch vielen Leuten berichten.

 Weiter nach Varna! Je näher wir unserem eigentlichen Ziel „Leipzig“ kamen, umso mehr stieg meine Aufregung. Werde ich dort willkommen sein? Werden mich alle mögen?
Wie kann ich mich verständigen? Und das Wichtigste: Auf wie viel Wodka werde ich mich mental einstellen müssen? Die Fragen drehten in meinem Kopf. Rückblickend hätte ich mich mit keiner dieser Fragen verrückt machen müssen (außer vielleicht mit der Wodka-Frage).
In Varna trafen wir einige der wichtigsten Menschen aus dem Dorf Leipzig: Lehrerinnen, die Bürgermeisterin und Mentorinnen vom Projekt. Der Empfang hätte nicht herzlicher sein können. Wir umarmten uns und freuten uns übereinander, als wären wir alte Freunde, dabei hatten wir uns noch niemals vorher gesehen. Zu unserem Glück übersetzte Heiko alles was an diesem Abend gesagt und erzählt wurde. Ich war begeistert von den starken Frauen, die am Tisch saßen, eine besonderer als die andere auf ihre eigene Art und Weise. Inspirierender und gastfreundlicher hätte ein Willkommensessen nicht sein können.

Nächster Stopp: Leipzig … endlich!

Schon im Auto von Varna nach Leipzig wurde mir bewusst, dass wir nun in eine viel ländlichere Welt eintauchen. Es stellten sich nämlich Kühe in unseren Weg, die in aller Seelenruhe die Straße überquerten.
Für jeden Dorfbewohner mit Sicherheit eine nervige Angelegenheit, für mich als Stadtkind ein absolutes Highlight, wofür es sich auf jeden Fall lohnt das Handy zu zücken.
Aus dem neu restaurierten Kulturhaus tönte laute Musik, ein russischer Hip-Hop Song, der mir bekannt vorkam. Als wir die Tür öffneten, sahen wir viele Kinder und Jugendliche, die sich zu der Musik so bewegten, wie es auch Jugendliche in Berlin täten.
Das Eis war gebrochen als vier der Mädchen Tim und mir versuchten, Tanzschritte beizubringen. Uns war die Überforderung im Gesicht anzusehen, für die Mädchen schien es eine wunderbare Belustigung gewesen zu sein. Wir verstanden uns von nun an meist ohne Worte oder eben mithilfe des Handyübersetzers. Jeden Tag wurden wir von einer Familie nach Hause zum Essen eingeladen. Obwohl viele von ihnen nicht viel hatten, wurde darauf bestanden, dass wir alles essen, was auf dem Tisch steht ist. Eine Selbstlosigkeit, die ich in Deutschland oft vermisse. Mein Highlight war das Dorffest, welches extra auf die Zeit unseres Aufenthalts gelegt wurde. Wir aßen zusammen, tanzten, lachten und es fühlte sich sicher nicht so an, als wäre ich 4000 Kilometer weit weg von zuhause. Als ich ein kleines Mädchen fragte, ob sie lieber in einer Großstadt leben wolle, lachte sie und schüttelte entschieden den Kopf. Ich kann sie verstehen.

Leipzig im Ural bedeutet für mich Liebe, Gastfreundschaft, Freude, Zusammenhalt und Essen
Danke an Heiko & Tim, dass ich diese Erfahrung machen durfte! Nächstes Jahr wieder?

Melanie Frisch